Mantren und Musik
aus Indien
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It`s Ooty Time

Veröffentlicht am 26.09.2013

Jetzt waren wir also da, in einem gänzlich neuem, anderen Indien, und froren uns in der ersten Nacht die Füße, den Arsch, ja eigentlich so ziemlich alles ab, was man sich so abfrieren kann.

Jetzt waren wir also da, in einem gänzlich neuem, anderen Indien, und froren uns in der ersten Nacht die Füße, den Arsch, ja eigentlich so ziemlich alles ab, was man sich so abfrieren kann. So Temperaturunterschiede zwischen sonnigem Tag und klarer Bergnacht sind mir aus dem Kumoan-Himal nicht in Erinnerung, vor allem weil die Hütten dort nach Jahrhunderte alter Tradition ökologisch und energiespeichernd gebaut waren.

Das viel zu schnell und von den „Indianern“ unfachmännisch im Kamin abgebrannte Holz hat nur Licht und kurzes heißes Leuchten gebracht aber nicht die ersehnte Wärme für die Nacht. Und die dicken Wolldecken halfen auch nicht so recht. Na und der Temperatursturz von Prashanti`s 30 Grad auf nunmehr 5 bis 8 Grad war halt doch ordentlich viel. Für die nächsten Nächte gab es dann für jeden noch 2 extra Decken. Das war das einzige was wirklich half, denn unser „Ober Indianer“ blieb seinem Credo treu: „ein indischer Yogi kann alles, weiß alles, vor allem wie man sinnvoll Feuer macht und ist und bleibt resistent gegen jede Art von Beratung.“

War ja auch naiv von mir zu glauben ich könnte ihm beibringen wie man Feuer macht, das nicht in hellen Flammen wie Stroh rasend schnell verbrennt, sondern langsam züngelnd und dunkelrot vor sich hin glüht, Wärme abstrahlend und nicht nur Licht, helles nutzloses Licht. Ja das war naiv, denn er war noch immer überzeugt, dass die wahren Meister des beherrschten offenen Feuers, die Indianer Nordamerikas, seine direkten, absolut direkten Vorfahren waren, nachweisbar bis in die 124-Te Generation. War auch naiv zu glauben dass er annehmen würde, dass ein paar Streifen Papier ausreichen um langsam das Feuer zu starten. Petroleum und Spiritus mussten her, bald standen 3 Flaschen am Sims des Kamins, es stank im Zimmer, es wurde immer wieder mit viel Freude und Dummheit nach gegossen, rein gekippt, bis endlich mit deutlichem Wumm und ausschlagenden Flammenhaufen in Richtung des Gesichtes des Indianischen Brandmeisters, die Physik entzündlicher Gase ein deutliches Warnzeichen in Richtung Augenbrauen und Haarschopf des Ur-Ur-Ur Enkels der ersten Indianer setzte.

Danach ist es mir dann doch noch gelungen, in den nächsten Tagen und Schritt für Schritt, die Kunst des Feuer machens und Feuer erhaltens weiter zu geben, Pyramidenfeuer, Haufenfeuer, Regulierung der Sauerstoffzufuhr wurden so langsam gelehrt und angenommen.

Am nächsten Morgen weckte die langsam sich durch Nebel und Wolken kämpfende Sonne. Es sollte ein schöner Tag werden. Wir bestellten ein „Tuc-Tuc“ auch „Moto“ genannt, Basis normal ein Piaggio Roller, vorne ein Rad, hinten 2 Räder, Federung nur angedeutet mit 3 Lagen verbundener Stahlbänder und Sitzplatz für den Fahrer vorne, Liesai, Hanish und ich hinten, direkt auf der Achse. Da kommt Freude auf bei geschundenen Bandscheiben und lädiertem Ilios-Sakral-Gelenk.

So erkundeten wir erst mal Ooty, die Bezirkshauptstadt in den Nilgiri Mountains, 95000 Einwohner in malerisch an steilen Berghängen verstreuten Häusern. Udagamandalam wie Ooty eigentlich heißt, wurde im frühen 19. Jahrhundert von John Sullivan, einem ehemaligen Sekretär der Britischen Ostindien-Kompanie „entdeckt“. Sullivan erkannte das landwirtschaftliche Potenzial der Gegend (kühles Klima, grüne fruchtbare Hügel), kaufte Land und begann Flachs, Hanf, Kartoffeln, Obst und insbesondere Tee anzubauen; innerhalb von 20 Jahren machte er ein Vermögen.

Sullivan und seine Geschäftsfreunde erbauten die Stadt mit künstlichem See, Kirchen und Steinhäusern, die auch im schottischen Hochland stehen könnten, und machten sie in kürzester Zeit zum beliebtesten Bergkurort auf der indischen Halbinsel. Udagamandalam diente auch als Sommerquartier der Kolonialverwaltung von Madras. Ursprünglich war das Gebiet um Udagamandalam Heimatland der Todas, einem Bergstamm von Hirten, die in fast völliger Isolation von den Städten des umliegenden Flachlandes lebten.

Die Todas wurden missioniert oder verfolgt und von Teepflanzern von ihrem Land verdrängt. Diese Todas sind ein besonderer Stamm in Südindien von nur 1.000 Menschen, die noch nie einen Krieg erlebt haben. Sie arbeiten nicht, sie betreiben weder Ackerbau noch Handel oder Handwerk. Sie leben von dem, was sie im Wald finden und von der Milch wilder Büffel, die sie wie ihresgleichen verehren - nicht jagen und nicht töten. Sie haben eine einzigartige Sprache, aber keine Schrift. Sie glauben nicht an Götter, aber leben in geistiger Verbindung zu ihren Ahnen und zu besonderen Steinen, Bäumen, Bergen, Seen, die sie als lebendige Wesen erfahren. Die wunderschönen Frauen leben z.T. in Vielmännerei. Ihre Familie ist der Klan. Die Männer wollen dominieren, aber die Frauen sind stärker. Eine Hierarchie mit einem Oberhaupt kennen sie nicht. Aber die Zivilisation bedroht ihr Paradies - von innen wie von außen.

Und auch wenn die Briten, wie auch sonst überall in ihrem Imperium der skrupellosen Ausbeutung, speziell den urzeitlichen Bergstämmen der Todas, Badagas, Kotas, Kurumbas und Irulas gegenüber ziemlich roh gegenüber auftraten, haben sie andererseits in dieser Gegend mit dazu beigetragen dass sich hier das sauberste Indien präsentiert, das wir bis dahin gesehen haben. Die weit an den Berghängen verstreuten Häuser und Gehöfte leuchten in allen Farben die es als Pigmente zu geben scheint, es gibt fast kein Haus das nicht bemalt wäre, jedes in anderer Farbe, und so leuchten die Hügel und Hänge in Nah und fern getupft wie impressionistische Malereien auf der satt grünen Leinwand der endlosen Teeplantagen, unterbrochen vom dunkleren Grün der ebenso endlosen dichten urzeitlichen Wälder. Wilder Dschungel und geordnetes Grün des Tees im steten Wechsel, sich hinziehend über sanfte Hügel und steile Berghänge, immer und immer wieder das Getüpfel der bunten Häuser, eines der vielen Paradiese in diesem oft so gar nicht paradiesischem Land.

Wir erkunden zuerst das Zentrum des Ortes, die Haupteinkaufsstraße mit hunderten von Läden und Geschäftchen für alles und jeden, alles sauber und wieder gemalt in allen Farben der Palette, Seidentücher, Saris, Obst in allen Farben, Schuhe, Hifi, Handwerkliches aller Art, kein Müll, nicht ein Müllsack, keine im Dreck wühlenden Kühe,Schweine,Hunde,Ratten, Krähen, kein Gestank nach Verwesendem, höchstens der Duft von Gebackenem, Gebratenen, Gewürzen und der frischen reinen Bergluft.

Wir besuchen dann kurz den berühmten botanischen Garten, den die Briten hier einst angelegt haben und in dem sie aus allen Teilen ihres Imperiums Pflanzen hierher brachten, und so steht hier vieles herum was nicht hierher gehört in beeindruckend sauberer englischer Gartenbautradition.

Am nächsten Tag mieten wir wieder unser Moto und lassen uns zum Bahnhof von Ooty bringen. Wir fahren mit der Nilgiri Mountain Railway nach Coonoor. Die Nilgiri Mountain Railway ist eine der indischen Toy-Trains, eine Schmalspurbahn, seit ein paar Jahren Weltkulturerbe und zwischen 1845 und 1899 von den Briten erbaut. Es ist eine wirklich erlebnisreiche Fahrt, über Viadukte, durch enge Tunnels, bei deren Durchfahrung stets ein Heulen und Schreien der vielen Kinder an Bord ertönt, es geht durch tiefen Dschungel, über sanfte Hügel, durch Teeplantagen und Eukalyptuswälder, vorbei an den unzähligen bunten Häusern, über Viadukte und immer wieder vorbei an Kirchen mit Kreuz, denn 90% der Bevölkerung in den Nilgiris sind Christen, anglikanische Christen, die hier in wirklich friedlicher Symbiose mit Moslems, Hindus und verschiedenen Naturreligionen der Urvölker dieser Gegend leben.

Die Sitze sind hart und eng in diesem Zug, der brechend voll ist, viele Kinder und Jugendliche die aus den an der Strecke liegenden Haltestationen nach Ooty und zurück zur Schule oder aufs College fahren halten den Lärmpegel fröhlich hoch. Ein netter Junge sitzt mir gegenüber, verliert schnell seine Scheu und erklärt und erzählt, weist auf besonders schöne Aussichten hin.
Es gäbe hier viele Schwarzbären, nicht ungefährlich wie er meint, da sehr aggressiv, im Wald müsse man auch aufpassen wegen der „King-Kobra“, das da seien Teebäume aus denen man das Teebaumöl gewinnt, ah und hier schau, Eukalyptus, makes very good oil. Ja, Leoparden gäbe es reichlich, Tiger aber nicht, die sind mehr unten im Dschungel, und Elefanten auch nicht. Aber viele wilde Büffel, urzeitliche Monster, und Schakale und Hyänen. Das da ist Wellington, früher Sitz der Kasernen der Engländer, Militärakademie, schau dort der Golfplatz und Golfclub,
auch „from the British“. Und so erzählt er und erzählt und als Liesai ihm am Ende in Coonoor 100 Rupie schenken will, ist er erst entsetzt und will ablehnen, lässt aber am Ende die Vernunft siegen und geht glücklich lächelnd und winkend nach Hause.

In Coonoor holt uns unser „Moto“ ab, um uns in einer Stunde schmerzhafter Fahrt, federungslos, begleitet vom hellen Heulen des Zweitakters wieder heim zu gasen. Einmal noch Halt an einem Golfplatz, da das federungslose Fahren auch Blasen anregend wirkt. Liesai geht mit Hanish auf eine enge, einspurige Brücke, da Hanish der Gockel wieder mal Posen möchte, auf dem Geländer. Liesai also in der Mitte der engen Fahrbahn der Brücke, der Gockel auf dem Geländer turnend, posend, yamas und niyamas im Dunkel des Dschungels vergessend.

Oben vom Berg nähert sich plötzlich ein Bus. Eigentlich nicht zu überhören auf holprigem Asphalt. Er scheppert auf die Brücke zu, es quietscht und dröhnt, aber leider nicht in den Ohren der im Posing vertieften, fokussiert deren Sinne nur auf das zu nehmende Bild. Ein Hupen, ein MS_Stechschritt Richtung Geländer – wohl vom Unterbewussten veranlasst, oder nein, vom Überbewussten, der Intuition gelenkt. So kratzt der rostige Außenspiegel des Busses an Lieses Kopf 15 Zentimeter vorbei und die Zwillingsreifen der Hinterachse verfehlen ihre Füße doch deutlich. „Hoppala“ schallt`s von der Brücke, „ja wo kommt denn der da daher?“ Hariom Tatsat und Sarve Bhavantu schießt es mir durch den Kopf.

Am Abend dann wieder Feuer am Kamin. Ein neuer Deep Purple Songs wird geboren:
1. Smoke in the chimney and Fire on the Floor

Bandscheiben geplagt gebe ich am nächsten Tag Ruhe, mach einen Schreibtag.
Liesai und der Feuerprinz nehmen wieder das „Moto“ um in der näheren Umgebung rum zu knattern:

Pykara Lake mit Pykara Damm und „Pykara Wasserfällen ist das erste Ziel, einer von mehreren von den Briten errichteten Stauseen, umgeben von dichten Wäldern und sanften Almwiesen. Die Bilder die sie mir zeigen erinnern sehr an einsame Gegenden in British Columbia, dominierend Red-Pines, wie man sie auch dort so häufig findet. Am See ein „Boat-House“ mit Bootsverleih, was für die Inder etwas ganz spezielles zu sein scheint, überall werden diese „Bootshäuser“ als absolutes touristisches muss angepriesen. Absolutes muss auch eine Fahrt mit Speed-Boot. Liesl und Hanish unternehmen dann eine solche Fahrt. Eingepackt in ein monströses, viel zu großes signalfarbenes Gebilde muss der Indianer zum Brüllen ausgesehen haben, aber da anscheinend viele (wie auch er) des Schwimmens unkundig sind, ist das schon OK. Auch Liesai schafft es irgendwie wackelnd auf das Boot und nur mehr kriechend wieder runter. Hut ab, ausgeprägtes Gleichgewicht ist ja nun wirklich kein naher Verwandter von uns MS`lern.

Die Wasserfälle, angekündigt als die „Nilgiri Niagara Fälle“ entpuppen sich dann als bessere Stromschnellen, jeder mittelmäßige Kajakfahrer würde da gerne runter rauschen, könnte auch mit Luftmatratze oder LKW-Schlauch machbar sein. Hanish ist trotzdem begeistert und dreht ewig lange Videos des spektakulären Naturschauspiels. Als Ton hört man dabei immer schreiende Kinderstimmen, ehrfurchtsvolles Schreien ob soviel Gischt, Rauschen und Gefahr der „Niagaras“. Anschließend besuchen sie noch eine Almwiese mit wunderbarer Aussicht auf Berge, Hügel und die im Dunst unten sich endlos ausbreitenden Urwälder des Hochlandes zwischen den Ghatt`s. Für Liesai angenehm, dass ihr der „Moto-Fahrer“ die 20 Minuten Gehstrecke erspart und mit seinem Gefährt an den Wanderern vorbei, bis zum Endpunkt über die Wiesen knattert.

Zusammen fahren wir nochmal durch Ooty, Tee kaufen, Öle kaufen, in einem sehr guten Restaurant für 7€ zu dritt essen und dann gibt’s noch vom Fahrer empfohlen einen Milchshake aus der „butter-fruit“. Schmeckt toll, aber wir können es keiner uns bekannten Frucht zu ordnen. Es schmeckt, ja wie soll ich sagen, ein wenig grünlich, ein wenig bitter aber auch süß, ist schaumig, anders halt und neu und wirklich gut. Als wir dann an einem Obst- und Gemüse- Stand vorbeikommen löst sich das Rätsel: die Butter-Frucht ist eine Avocado. Wahrscheinlich war das eine richtige Kalorienbombe.

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