Mantren und Musik
aus Indien
zum  kostenlosen Download

Eine irre Reise in die Nacht

Veröffentlicht am 25.09.2013

Entgegen der sonstigen Gewohnheit, chronologisch das Abenteuer Indien abzuhandeln, beginne ich diesmal an dem Ort und zu dem Zeitpunkt an dem wir uns gerade befinden. Wir, das sind Elisabeth, Hanish und ich........

Entgegen der sonstigen Gewohnheit, chronologisch das Abenteuer Indien abzuhandeln, beginne ich diesmal an dem Ort und zu dem Zeitpunkt an dem wir uns gerade befinden. Wir, das sind Elisabeth, Hanish und ich. Und der Ort, das ist Ooty, ein auf 2260 Metern Höhe gelegener Ort in den Nilgiri-Mountains, auch Blue Mountains genannt. Und es ist heute, Mittwoch der 25.9.2013 nach unserer Zeitrechnung, zumindest ungefähr.

Die Nilgiris sind ein Ausläufer der Western Ghats, dem sich im Süden Indiens bis zur Südspitze hinziehendem Küstengebirge (bis 2700 Meter hoch) welche zusammen mit den Eastern Ghats das abenteuerliche südliche Hochplateau umrahmen und sich über die Bundesstaaten Kerala und Tamil-Nadu erstrecken.

Wir sind hier nach einer teils abenteuerlichen, teils skurrilen, fast Slapstick oder Comedy reifen Fahrt gelandet. Indien zeigte sich wieder mal von einer seiner lustigen absonderlichen und doch auch wunderschönen Seite. Die Fahrt begann in Prashanti mit der üblichen Verspätung, alle Uhren gehen hier halt nicht gleich und die Zeit hat hier wohl weniger eine Physikalische Funktion des Messens als vielmehr die Funktion des Beschreibens des Ungefähren oder Möglichen oder vielleicht ist sie hier sogar von jeder Bedeutung gereinigt nur mehr ein Gradmesser des Kommens, Innehaltens und Vergehens.

Beim Frühstück Verabschiedung von Leah und ihrem Freund Ajar,

von der portugiesischen Weltenbummlerin, von unserem uns ans Herz gewachsenen Wunder Nadler Dr. Apar (assistence Professor für Naturheilkunde), einem jungen Naturheilkunde-Arzt, der eine Goldmedaille gewonnen hatte für das beste Staatsexamen ganz Indiens in seinem Jahrgang. Im Zimmer noch rührselige Verabschiedung von meinem zum Freund gewordenen Querschnittsgelähmten Devina, der vor 8 Jahren von einem Baugerüst in Prashanti aus dem 3.Stock in die Tiefe gestürzt war und seitdem in einem schrottreifen Rollstuhl als stets lächelnder liebevoller Engel auf dem Campus herum eilt und überall hilft wo er nur kann.



Frau und Tochter haben ihn danach verlassen, seine strahlende Glückseligkeit konnte ihm das alles nicht nehmen. Sein großer Traum ist es einen vernünftigen Rollstuhl zu bekommen um im Frühjahr am Rollstuhlrennen für Behinderte in Bangalore teilzunehmen und dann mit dem Rollstuhl Indien herauf und herunter zu reisen, getragen von seinem Willen, seiner Lebensfreude und der Kraft seiner Arme. Am Auto dann noch Abschied von Vikas, der sich wirklich liebevoll und mit viel Einsatz um uns gekümmert hatte, bei mir mit fester Umarmung, bei Liesai diesmal mit weniger Scheu als vor einem Jahr, wenn auch immer noch sehr körperlos, aber ohne Fluchtgedanken wie 2012.

Und dann ging sie los, die Fahrt in Indiens Süden. Den Fahrer kannten wir schon, hatte er uns doch schon vor ein paar Tagen kurz nach Bengaluru gefahren, und schon bei der Fahrt war Liesl und mir aufgefallen, dass sein Umgang mit Gas-Kupplung-Schalten irgendwie anders ablief als wir das kannten. Ich hatte mir damals noch gedacht: Vielleicht ist das im Moloch-Großstadtverkehr die angebrachte und uns nur fremde aber sinnvolle Variante: Beispiel: Ansetzen zum Überholen bei deutlichem Gegenverkehr ging so: Dicht auffahren-Ausscheren nach rechts- vom Gas gehen damit die Motordrehzahl unter 1200 fällt-dann vom 2.Gang in den dritten, oder sicherheitshalber gleich in den 4. Gang schalten- wieder vorsichtig Gas geben und abwarten ob der Motor an bleibt- sicherheitshalber Überholvorgang abbrechen (Gott sei Dank) und Kupplung vorsichtig aber beständig mit schleifen lassen, damit nie zu viel spontane Kraftentfaltung auf den Antriebsrädern ankommt- erst dann endgültig überholen wenn Gegenverkehr nur aus Rikscha, Fahrrad oder Skooter besteht und weit weg ist. Nach Überholvorgang durchatmen, im 4. Gang bleiben oder den 5. Wählen und den Motor wieder auf 1200 Umdrehungen justieren. Da braucht es schon Feingefühl im rechten Fußheber fürs dosierte Gas und im linken Fuß fürs fein dosierte Kupplungsspiel, und natürlich jahrelange praktische Erfahrung im Ruinieren von Kupplungsbelag, Motor und Getriebe. Und all das hatte Muhamed (ich nenne ihn so weil er Moslem war) reichlich.

Von etwas feister Gestalt, rundköpfig und mit ausdruckslosem Gesicht über dessen Stirn immer kalter Schweiß glänzte, sollte die Fahrt mit Muhamed ein indisches Abenteuer werden, wie wir es alle wohl noch nie erlebt hatten. Eine Fahrt bei der mit zunehmender Dauer sich immer mehr Ungläubigkeit und Erstaunen mit erst milder aber zunehmender Verzweiflung und fast schrillen Lachanfällen von Liesai und später auch von mir abwechselten. Eine Fahrt bei der mit zunehmender Dauer auch Hanisch ein immer feineres Gefühl und Achtsamkeit für den Klang eines normal benutzten Motors und für den Geruch stetig schwindenden Kupplungsbelages entwickeln sollte obwohl er, ohne Führerschein und Fahrpraxis, solchen profanen Dingen gegenüber eher desinteressiert gegenüber steht.

Bald hinter Jigani, fuhren wir auf den bestens ausgebauten Highway Richtung Mysore, erstaunlich wenig Kreuzungen auf dieser Autobahn, relativ wenig Speed-breaker, wenig Gegenverkehr, nur ab und an ein Motorrad oder Fahrrad und auch kaum Dörfer die von der Autobahn durchschnitten wurden. Und so passierten wir fast zügig die Strecke nach Mysore, passierten ein Zentrum der Seidenherstellung, ein Zuckerrohrgebiet, das Zentrum der Holz-Spielzugindustrie und ein Baumwollgebiet.

Baumwolle

Wir ließen Mysore, die alte Mogul-Kaiserstadt fast rechts liegen, streiften sie nur am Rande, auf Paläste und Tempel waren wir nicht eingestellt, wir wollten in die Nilgiris, der tropischen Monsunschwüle Prashanti`s entfliehen, wollten in die Kühle Bergluft des „südlichen Himalayas“ nach Ooty oder auch Umagandalam genannt.

Mysore wurde dann für Muhamed zur ersten Herausforderung, 10 mal den Weg erfragen anstatt die Verkehrsschilder lesen, wenn auf falscher Spur dann solange weiterfahren bis eine große Fläche sich bot, auf der er wenden konnte ohne den Rückwärtsgang zu benutzen, denn rückwärts fahren, ja das schien er in der Fahrschule versäumt zu haben und sollte es auf der weiteren Fahrt konsequent vermeiden, mit schrillen Auswirkungen in den Bergen.

Und immer sauberer wurde Indien, je weiter wir uns vom Moloch Bengaluru mit seinen 9 Millionen und vom dreckigen Industrieloch Jigani entfernten. Auf all unseren Fahrten durch Indien hatte uns immer der Gestank der Abfall und Müllberge in Städten und Dörfern begleitet, vor denen keine Straße, kein Platz sicher schien, Plastikflaschen kauende Kühe, besudelte Schweine, Ratten und zerzauste Hunde rauften sich stets um das fressbare und unfressbare dieser Halden, Kinder spielten auf diesen stinkenden Haufen und unter blauen Plastikplanen hausten am Rand dieser dreckigen Straßen die ärmsten und dünnsten. So hatten wir all unsere bisherigen Fahrten verinnerlicht. Und nun plötzlich kein Müll mehr, saubere Dörfer, keine Plastik kauenden Kühe. Was für ein anderes Indien, hier schien ein Bewusstseinssprung stattgefunden zu haben.

Saubere Luft, unendliche Weite, Reis-Baumwolle-Zuckerrüben auf Flächen die bis zum Dunst des Horizonts reichten. Dazwischen vereinzelte Riesige Bäume mit Kronen die einen ganzen Dorfplatz beschatten könnten, weiter im Hintergrund sich abzeichnende sanfte Höhenrücken, von dichtem Urwald besetzt, erahnbare Stille und Ruhe eines Paradieses, wie ich es bisher nur von Kumoan und Garwal-Himalaya kannte.

Irgendwann Hunger, Süppchen für Liesai und mich und reichlich Brennstoff für Muhamed. Das zeigte Wirkung. Denn plötzlich schaffte es Muhamed, was er auf Highway und Autobahn nie geschafft hatte: er überschritt mit bis zu 110 KM/H mehrfach die magische Grenze der 100 KM/H fuhr manchmal fast überheblich in Kurven, deren Radius er überschätzte, lies sich aus Kurven weit ins Gebiet des Gegenverkehrs treiben, was mangels eines wirklichen Verkehrs völlig bedeutungslos war. Und auch das pausenlose schrille Hupen versiegte immer mehr bis zur fast völligen Stille, aber nur fast Stille, denn seit einiger Zeit dröhnte nun Sufi und Hindi Musik, vor allem aus der riesigen Holz-Bass-Box im Kofferraum, dröhnte so laut, dass bei Liesai Bauchfell und Brustraum mit schwangen und wir zur Vermeidung von Spätfolgen auf einer Reduzierung dieser Trance hinwirkten. Wir wirkten dabei erfolgreicher hin als bei der Klimaanlage, die Muhamed immer heimlich ausschaltete und ich wieder an, er aus, ich an, er aus ich an. Irgendwann zeichneten sich am Horizont erst sanfte Höhenrücken ab, die aber mit zunehmender Annäherung immer größer und mächtiger wurden um schließlich klar und deutlich zu verkünden: Wir sind die Nilgiris, die Blue Mountains. Die höchsten Gipfel hüllten sich dabei allerdings in mächtige weiße und graue Wolkentürme die fast bis zum Ende des sichtbaren Himmels reichten, so als wollten sie uns zuflüstern: Kinder euer Weg wird noch ein langer sein, ein Weg, steinig und schwer um Xaverl Naindoo zu zitieren. Und das Lied der Monsunungetüme über den Nilgiris sollte noch lang in unseren Ohren klingen.

Aber die letzten Wegweiser verkündeten gutes, nur noch 90 KM nach Ooty, höchstens 2 Stunden raunzte Muhamed selbstbewusst, fast überheblich in den fahler werdenden Spätnachmittag.

Besiedlungen hörten nun fast auf, rechts und links nur noch Dschungel und Urwald. Irgendwann eine Schranke und Polizisten die den Grenzübergang nach Tamil-Nadu bewachten und es Liesai und Hanisch deutlich untersagten sie oder den Grenzposten zu fotografieren. Dann wieder Schranke und Tor, das Tor in einen von Menschen fast unberührten Nationalpark, den Mudumalai National Park and Tiger Reserve.

Plakate von Tigern, Elefanten, Leoparden zu Beginn und bald die Begrenzung der Geschwindigkeit auf 40 KM/H manchmal auch nur 30 KM/H. Immer dichter nun der Urwald rechts und links, die Straße schmaler, abgestorbene riesige Bambuswälder (hatten wohl kürzlich geblüht), Bäume mit gewaltigen Lianen die fast auf die Straße hingen, dichtes undurchdringliches Buschwerk rechts und links, unheimliche Stille. Spontan musste ich an Tarzan meinen Kindheitsfreund denken, an Kipling und das Dschungelbuch mit Mogli und Kaa, an die Beatles und ihren Bungalow Bill. „Hey Bungalow Bill, why did you kill, Bungalow Bill“.

Dann plötzlich eine große Herde weiß gepunkteter Rehe oder Hirsche rechts auf einer Lichtung, auf der nächsten Lichtung selbige ohne Punkte und dann plötzlich auf einer hangartigen Lichtung ein mächtiger Elefantenbulle mit fast .blendend weißen Stoßzähnen, erhaben und stolz, hinter ihm am Waldrand fast versteckt seine Haremsdamen.

Dichter wieder der Wald, fast schon unheimlich dunkel reckt uns zwischen dichtem Gestrüpp ein Elefantenbulle seinen riesigen Hintern entgegen während zwischen den mächtigen Säulen seiner Hinterbeine sein ausgefahrener Penis baumelt und blitzt. Ob seine Geliebte da hinter den Büschen wartend ihn so erregt? Könnte gut sein.

Ein paar Kehren weiter die Umrisse eines urwüchsigen „Wild Buffalos“, eines jener Kraft-strotzenden Ungetüme von bis zu 1500 KG, vor denen auch Tiger meist einen Bogen machen. Schon manches Auto wurde von diesen Riesen verschrottet wenn sie es, verärgert durch die Ruhestörung, mit ihren weit ausladenden Hörnern aufs Korn nahmen. Der einzige Feind dieser Riesen sind manchmal Rudel von „wild red Dogs“ die zu 30 oder 40 ein solches Tier stellen und erlegen können.

Muhamed war leider zu trödelig um rechtzeitig zu halten, da sowohl zügiges Fahren als auch spontanes Halten, nicht sein Spezialgebiet waren. Beim blauen Pfau ein Stück weiter gelang es dann doch einmal meisterlich.

Leider ein paar KM später wieder nicht, als ich links im Gestrüpp eine Elefantenmutter mit Baby erspähte. 100 Meter später schafften wir es, aber unsere Bitte rückwärts zu fahren um filmen zu können, führte nun zum ersten Rückwärts-Fiasko, dem noch viele folgen sollten. In Schlangenlinien ging`s zögerlich zurück bis die ganze Straße blockiert war und wir fast im Graben der rechten Seite landeten. Mensch Muhamed hab doch Vertrauen zu Allah dem Allmächtigen, er wird dich beschützen, thront er doch als Schriftzeichen in Plexiglas gegossen auf der Ablage vor dir. Allah ill Akbar und auch Jesus und Shiva, Durgha, Ganesha und Krishna sind mit uns hier im Auto, hab Vertrauen und Mut Muhamed, dachte ich mir.

Außer der üblichen Affen die die Straßenränder ganz Indiens bevölkern gab es nun kaum mehr Wildlife und die Straße begann kontinuierlich anzusteigen bei immer mehr jammerndem Motor, bei immer mehr weinender Kupplung, die sich immer mehr auch olfaktorisch zu erkennen gab.

Muhameds größte Herausforderung begann: Die Bewältigung von ca. 800 Höhenmetern (gefühlten 10000) und von ca. 36 Spitzkehren (gefühlten 300), das Durchdringen von dunkler Nacht in unbekanntem Terrain und das beständige Vermeiden des noch all zu oft leider benötigten Rückwärtsganges.

Hiervon aber morgen, das Licht am offenen Kamin ist nun zu dunkel, meine Augen zu müde und Liesai und Hanish zurück von einer Abenteuer Tour, ihrem Besuch bei den Nilgiri Niagara Falls.

Der Albtraum beginnt

Erste Kehre, vorsichtiges anpeilen, Geschwindigkeit zurücknehmen, vom 2. Gang in den 3. Gang und dann Lenkrad herumreißen um die erste der 36 Spitzkehren an der falschen Stelle anzupeilen: im inneren Kurvenrand, dort wo der Asphalt kurzzeitig am steilsten wird. Der Motor stöhnt tief, geht in ein jammerndes Stottern über, der Kupplungsbelag lispelt und keucht, aber wir schaffen diese erste Hürde mit Müh und Not. Anstatt nun die folgende Gerade zum Luftholen, zum Drehzahl aufbauen zu benutzen wird gleich der nächsthöhere Gang eingeschliffen und wummernd und stöhnend die nächste Spitzkehre angeschlichen. „Oh mein Gott“ stöhnt Liesel neben mir, „noch 18 Kilometer so, das schaffen wir nie.“ Ich sag „komm gib mir die Hand und mach die Augen zu. Konzentrier dich auf deinen Atem, tief ein, komplett aus, inhale deeply, exhale completley and bring your whole awareness to your breathing patterns. Be relaxed, totally relaxed.“

Ich sehne mich nach unseren wilden Himalaya Fahrern, nach der Schnapsfahne des ersten 2011, der bei 8 Stunden Fahrt 0,75 Liter Whisky getankt hatte und super-sicher auf brutalem Terrain unterwegs war, sehne mich nach dem, bei dem uns wohlriechend seine schwarzer Afghane ans Ziel führte oder dem Jungen mit dem wir Deep Purple, Led Zeppelin und Shlogas sangen, stundenlang. Smoke on the Mountain and Fire in the Sky, Let the Motor running, jay jay ma und hey govind.

Die konnten alle super in den Bergen fahren, sogar der letzte im Oktober 2012, der schaffte es von Dhaulchina bis Haldwani fast ohne Bremsscheibe und noch schrecklicher für einen indischen Bergfahrer gänzlich ohne Hupe. Wir schafften das, in Haldwani neue Bremsscheiben aufgezogen, Hupe gewechselt, ich im auf Ziegelsteinen aufgebockten Auto sitzen geblieben, 1,5H bei Hitze und ohne Klimaanlage. Das waren Zeiten mit euch, Königen der Berge, Könige des heulenden Motors, aus den Kurven raus und Gas, Gas,Gas. Let the Motor running Muhamed.

„Ich glaub wir müssen Helfen „ mein ich zu Liesai,“ sonst Nacht im Auto.“

Lektion 1.: Don`t gear up before the turn, nicht hoch-schalten vor der Kurve, gear down, runter-schalten, hohe Drehzahl suchen, und runter von der Kupplung stöhnte Liesai, runter, no cludge, don`t press cludge, no cludge. Du musst auf den Klang des Motors hören, der muss, hell und klar sein, wie Brahmari hrmmmmm hrmmmmm, nicht wumma wumma wu wu wum wo wum.

Lektion 2: Fahr die Kurven weiter aus, investieren in Weg, wie beim Skirennfahren, ist schneller, you are not Body Miller, solche spitzen Winkel schaffst du nicht.

Lektion 3: Vor Kurve runter-schalten, mit guter Drehzahl raus, erst dann hoch-schalten.

Ja, gut, super, schon viel besser die 5. Kehre. Immer mehr feuerten wir Muhamed an, der sich am Lenkrad festklammert, Schweiß auf der Stirn, und Scham und Verzweiflung in den Augen. Denk mir „der fühlt sich wie ich in einer Lateinschulaufgabe, hilflos und verlassen.“ Muhamed tut mir, uns Leid, wir sind nicht sauer, nicht gestresst, fasst berauscht von diesem Irrsinn, als wären unter einem Halluzinogen

Wir müssen weiterhelfen, anfeuern, beraten, erklären. Wir schalten Hanish mit ein, der versteht sehr schnell, lernt, erkennt alle Fehler rasch, feuert mit an, überwacht den Kupplungsfuß, no cludge, leave it, no no.

Feuert mit an: and now Gas, speed. Speed, oh no.

I got it now meint Hanish, I also can hear it, his Engine has no clear sound, oh the sound is like a Schakal in the Jungle when in love.

oheeeeee oheeeee. Should be like tiger or Leppard when angry:

Wrummmm Wrummmmmmmm or long and deep omkara.

Sechste Kehre das erste Ende von vielen. Klagend, röchelnd verendet der Motor. Zu Spitz im 4. Gang mit 5 KMH angegangen. Stille im Auto (die Sufi Musik hatte ich schon aus geschalten als wir Muhamed den unterschiedlichen Klang des Motors in Abhängigkeit von Drehzahl vermittelten und die Bedeutung dieses Klanges für eine sichere zügige Fahrt), beängstigendes Schweigen, draußen die Dunkelheit einer Nilgiri Nacht. Muhamed hatte das Licht ausgeschalten, eine Reaktion auf seinen Fahrunterricht, nie Licht ohne Motor zu benutzen. Sein rechter Fuß gepresst auf dem Bremspedal, die Finger schwitzend ans Lenkrad gekrallt, Schweiß, Schweiß auf der glänzenden, glühenden Stirn.

„ I glab ich fahr jetzta, oder du“ stöhnt Liesi. „Aba mit unsere Fußheber Kuppeln, i glab des wird ah net besser.“ „ja eigentlich sollt`n mir,“ aber ich trau mich auch net.

Muhamed versuchte den Motor zu starten, beim vierten Mal klappt’s, das Anfahren am Berg leider nicht. Nicht mal ein kurzes Aufbäumen oder Stottern, nichts, nur wieder die Stille der Bergdschungelnacht und der fast pulsierende Schweiß von Muhamed, dem Geprüften, dem Leid geplagten.

„you must drive back“ raunzt Hanisch, „fahr zurück aus der Kurve, auf die Gerade feuern Liesai und ich englisch an, zurück, zurück du Dödel.

Muhamed wagst, kann aber dabei nicht auch noch lenken, rollt geradeaus und dann falsch lenkend zur anderen Seite der dem Abhang zugewandten Seite zu ohne die rettende Gerade auch nur annähernd zu erreichen. Ich blick mich um und bin gelassen: Eine mächtige Leitplanke mit drei Lagen übereinander verschraubten T-Trägern umrundet schützend die Kehre. „Die haut auch kein LKW durch“ denk ich mir, „macht nichts wenn er da rein rollt“ Aber Muhamed schafft`s, wir stehen 50 CM vor der Planke.

Plötzlich wird die Nilgiristille von einem erst hellen und klaren Lachen durchdrungen, welches sich Stakkato mäßig zu schrillem Lachen, gepaart mit dem eindeutigen Ton von Elisabeth lässt alles Angestaute heraus, gluckst, grunzt, schüttelt sich, ich stimme mit ein steigere mich ähnlich, Tränen presst es aus unseren Augen, Hanisch schaut erst irritiert und stimmt auch mit ein: „it is too crazy, oh my god.

Gemeinsam dirigieren wir Muhamed, beim 3. Mal schaffen wir diese Kehre, dümpeln dahin bleiben noch etliche Male ähnlich liegen, feuern an, dirigieren, sprechen Mut zu und loben. Ich zähl die Kehren mit und Atme erleichtert durch. „ Nummer 36 sag ich Liesi, geschafft, geschafft.

Auch Muhamed scheint stolz und erleichtert und fällt auf der sanft ansteigenden Geraden nach der letzten Kehre selbstbewusst in seinen Fahrstil: Aus der Kehre im 2. Gang raus, zügig in den 4. geschalten, Drehzahl 1500-1200-900- uhgrrr uhgrmmm Ende, Nilgiristille.

Hanish entdeckt einen Liquor Store links vorne, ruft "stop on Liquor Store", vor dem einige Parkbuchten frei wären, wenn Muhamed der Glückselige nur reinfahren würde. Er aber tut das lieber nicht, müsste ja rückwärts ausparken „nein nein, das geht nicht“ meldet Muhameds Unterbewusstsein und verhindert so eine sinnvolle Handlungskette.-

Also fährt Muhamed noch 50 Meter weiter und hält am Straßenrand. Hanish raus aus dem Auto, dem Laden zutrabend, da nimmt das Schicksal eine weitere Wendung. Das Hupen von anderen Autos, die sich von Muhameds großzügigem Blockieren der Straße behindert fühlen, lässt ihn aufschrecken. Er startet wieder den Motor, Licht an, Gang rein, nichts kann ihn nun hindern weiterzufahren, ohne Hanish.

„halt, bleib stehen“ rufen Liesi und ich, bleib stehen, was soll das, stop, what are you doing, are you crazy. Aber für Muhamed gibt es kein Halten mehr, der Fluchtinstinkt hat ihn gepackt, und so fährt er unbeirrt weiter, weiter, weiter bis die leicht ansteigende Straße ihren Scheitelpunkt nach vielleicht 800 Metern erreicht und an einer Gabelung wieder abfällt. Hier verlässt er die Hauptstraße, wählt eine Seitenstraße, fährt noch ein Stück runter und bleibt glücklich stehen. He he he rufen Liesi und ich, you must go back to Hanish. Aber da führt kein Weg hin. I will walk to him, I bring him flüstert Muhamed und macht sich mit einer Taschenlampe auf den Weg in eine schwarze tropische Nacht.

Und wir sind nun ganz allein, in dieser schwarzen tropischen Nacht. Wir starren uns an, wieder biete ich meine schützende Hand Liesi an, wir schauen uns an und langsam langsam durchdringt wieder unser sich stetig steigerndes Lachen, Prusten, Grunzen und Keuchen die Schwärze.

Hanish ist derweil irritiert vor dem Store, kein Auto mehr da, ans Handy von Muhamed geht keiner (ausgeschalten) auch der Taxibesitzer, den Hanish zwischenzeitlich angerufen hatte kann ihn aus diesem Grund nicht erreichen, Aber Muhamed mit seiner Taschenlampe findet ihn dann doch und endlich sind wir wieder vereint, auf falscher Straße allerdings. Mein inständiges Bitten, auf die Hauptstraße zurückzukehren findet bei Muhamed kein Gehör, nein, Rückwärts fahren, nein so etwas kommt für ihn heute nicht mehr in Frage, führen doch alle Wege nach Rom oder Ooty. Also holpern wir durch die Nacht, fragen uns durch, hin und her, aber niemals zurück, und finden irgendwann unser Ziel,. 3 Stunden für 18 KLM, stolze Bilanz.

Angekommen bestellen wir noch zu essen, Muhamed hat richtig Hunger, nicht nur einmal, hat ja schließlich viel geleistet und seine Gäste wie immer sicher ans Ziel geführt. Und Durst hat er auch, Tank war leer, ganz leer, also noch 3 Bier a 0,875 Liter zu 8,5% Alkohol. Und dann muss er schlafen, denn zurückfahren geht nicht mehr, der Dschungel ist von 18H bis 6H morgens gesperrt. Möchte morgen um 3H früh losfahren um um 6H im Dschungel zu sein. Wir wecken ihn mühsam um 6H aus seinen Träumen.

Give me ring when you want to go back, i will come and pick u up, sind seine letzten Worte bevor er fährt.

Ob er die 36 Spitzkehren ohne Motorbremse im 5 Gang geschafft hat wissen wir nicht, aber man muss ja nicht alles wissen in diesem Land.

Auf Social Media teilen