Mantren und Musik
aus Indien
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Mal kurz reflektiert

Veröffentlicht am 30.07.2010

Ich sitze hier, auf einer Terrasse, auf einem wackeligen weißen Plastikstuhl, noch müde von der langen Reise, noch etwas verunsichert und staunend. Ich sitze hier in einem Land in dem ich nie zuvor war, auf einem Kontinent der mir bisher fremd und unerreichbar, aber auch nie so wirklich verlockend erschienen.

Ich sitze hier, auf einer Terrasse, auf einem wackeligen weißen Plastikstuhl, noch müde von der langen Reise, noch etwas verunsichert und staunend. Ich sitze hier in einem Land in dem ich nie zuvor war, auf einem Kontinent der mir bisher fremd und unerreichbar, aber auch nie so wirklich verlockend erschienen.

Ich blicke in ein Tal, in dessen Grund ein trockener, erdiger Weg an einer großen ummauerten Wasserstelle vorbeizieht. Auf der Mauer sitzt eine dürre, magere Gestalt, neben der eine ebenso magere Kuh, den Kopf nach unten gebeugt, wie eine aus Stein gemeißelte Skulptur steht. Dahinter erhebt sich dichter grüner Urwald. Riesige Baumkronen erheben sich immer wieder aus dem satten Grün, Schlingpflanzen kriechen an den Stämmen empor, winden sich an den weit ausladenden Ästen der Kronen nach außen, um wie Grün gewebte Teppiche die von sanften Wind bewegt sind, hin und her zu schwanken.

 Eine Horde von weißgrauen Affen, Lemuren nehme ich an, springt und tanzt zwischen den Kronen der Bäume, 3 turnen herüber bis auf das Dach direkt vor mir, um dann kreischend und fauchend um irgend ein Stück Essbares zu kämpfen. Unter mir streunt einer der vielen hier halb wild lebenden Hunde, denen allen eines gemein ist: Sie enthalten die Merkmale unendlich vieler Rassen, manche davon richtig schön, manche für unser Auge fast schon schrecklich hässlich. Der hier hat einige Merkmale eines Schäferhundes, zumindest an den verkrüppelten Ohren, Körper und Schwanz dagegen und auch der Kopf lassen eher an einen Mastiff denken. Ein junger Affe auf dem Dach scheint dies lustig zu finden und so springt er von oben dem Bund direkt auf dem Rücken. Vor Schreck stürmt der Hund erst einmal los, der Affe kreischt vor Freude um sich im nächsten Augenblick über die Dachrinne wieder in Sicherheit zu bringen. Unten keift und bellt der Hund, oben kreischt und lacht und tanzt vor Freude der Affe. In dieses Konzert mischt sich das laute tiefe krächzen der unendlich vielen großen schwarzen Krähen und das Singen und schrillen unsichtbarer anderer Vögel irgendwo aus dem dichten Grün.

Aber warum sitze ich hier, was hat mich gerade hierher gebracht, in eine völlig neue fremde Welt.

 Sagen wir so, es begann mit diesem Kribbeln in den Beinen, zuerst nur manchmal und für kurze Augenblicke, später konstanter, ein dumpfes Schwammiges Gefühl, das nicht weh tat, nein Schmerzen verursachte es nie aber irgendwie störte es. Manchmal zog auch speziell nachts ein eigenartiges ziehen über das linke Knie, den Perinäus entlang bis runter in die Zehen, meist zum großen Zehen. Es war wie ein konstanter elektrischer Strom, nicht Schmerzen, nur störend, da dieser Strom immer wieder ein Zucken mal nur in den Zehen, mal auch im ganzen Bein vom Knie abwärts auslöste.

Die CT`s und Kernspins in dieser Anfangsphase zeigten leichte degenerative Veränderungen an verschiedenen Wirbeln und Bandscheiben, sie zeigten leichte Verschleißerscheinungen in den Knien, sie zeigten aber auch erste Läsionen, die zu sehen gewesen wären, die aber keiner sah, da gar keiner nach ihnen suchte.

Oder begann es mit dieser Müdigkeit in diesem heißen Sommer in Malta. Ich weiß es nicht.

Deutlicher war es dann schon vier Jahre später in Kanada und im Tessin. Seltsame Unsicherheiten besonders beim Berg abgehen, stolpern, Schwindel, seltsames Gleichgewicht, aber ich war gut trainiert in dieser Zeit, fuhr viel mit dem Rad, lief, Schwamm, surfte und fuhr Ski mit ganzem Herzen. Aber die Müdigkeit, Antriebslust, angestrengtes seltsames sehen, all dies kam und ging.

Nun es gab genug Erklärungen für solche Dinge, der unglaubliche Stress gerade in dieser Zeit, zum Teil völlige Überarbeitung, der Kampf gegen Goliaths der einfach nicht zu gewinnen war, das stolpern von einer Ungerechtigkeit in die nächste, von einem Pech ins andere, dem ich immer wieder alle Kraft alle Intelligenz alle Kreativität alle Hoffnung entgegensetzte. Aber trotzdem wusste ich, spürte ich immer deutlicher das irgendetwas in meinem Körper anders war als vorher. Aber das war alles so fein, fast marginal am Anfang, mal stärker mal schwächer, aber irgendwann stark genug um in mir Unsicherheit Angst und Panik auszulösen. Das kam und ging je nachdem wie ich es zuließ, je nachdem wie ich es auf der Seite des Bewusstseins angehen und bekämpfen konnte. Aber dieses bekämpfen, ohne den Gegner zu sehen und zu verstehen führt nur dazu dass diese Unsicherheit, die Angst, die Panik sich im Unterbewusstsein Platz und Raum schaffen und allmählich "Mastery over the mind„ erlangt.

Mein Gott, sie schon wieder waren die Worte meines Orthopäden, da kann man nicht viel machen, ihre Wirbelsäule ist einfach kaputt, damit werden Sie leben müssen, und ihre Knie werden das nächste sein.

2001 ließ ich die ganze Prozedur wieder über mich ergehen, nachdem ich einige Wochen so schwach und fertig war, dass ich ums Verrecken nicht mehr auf die Beine kam. Leicht macht er es sich, nimmt sich halt eine Auszeit, auch das klingt mir noch immer in den Ohren.

Sie sind depressiv, war das Ergebnis meines Neurologen, in Verbindung und als Folge eines „Burn-Out. Auf die Parästhesien, auf das Stolpern, auf das Taubheitsgefühl, auf die Zuckungen nachts, auf Schwindel und Gleichgewicht, auf all dies wollte er bei diesem Gespräch, bei dieser Diagnose, nicht weiter eingehen. Machen wir eine Baustelle nach der anderen war sein Vorschlag. Auch zuhause galt ich schon lange als Hypochonder, als jemand der sich einfach eine Auszeit nimmt, als somatisches nervendes Wesen, das sich bitteschön langsam selbst am Arsch aus dieser Situation heraus ziehen muss.

Und ich wollte das ja auch, wollte dass die Angst und Panik und die Willenlosigkeit ein Ende haben. Kein Baldrian, kein Hopfen und kein Tavor mehr. Ich wieder Herr über mich selbst, das war das Ziel das ich vor Augen hatte als ich mit meiner ersten Therapie begann.

 Mmmmmmmmmm gesprächstherapie, hab ich schnell abgebrochen, da wo der rumstocherte, da wollt ich nicht suchen, ich leb jetzt, hier, bin kein Kleinkind mehr.

Die nächste Therapie, Verhaltenstherapie, war da schon wirkungsvoller. Lernte das unermüdliche, sich selbst in Gang setzende Karussell der Ängste, der Panik, der Verzweiflung zu verstehen und anzuhalten.

 Ja und jetzt bin ich also hier.

Der Flug war trotz meiner Bedenken, die ich innerlich irgendwie hatte wirklich super verlaufen. Dadurch, dass ich den Rolliservice von den Emirates in Anspruch nehmen konnte, war alles sehr einfach. Ich kam als erster in die Maschine, keine Hektik beim Verladen des Handgepäcks und ein unglaublich freundlicher Service, bei dem das Flugpersonal sich durch neun verschiedene Sprachen auszeichnete. Ein wirklich leckeres arabisches Lammgulasch gab es zum Abendessen und mit etwas Sorge musste ich dabei daran denken dass es in den nächsten Wochen kein Fleisch und andere Dinge der täglichen Gewohnheit wie Zigaretten, Bier, Wein, Café, Tee, und vielleicht noch vieles andere mehr, geben würde.

Von Dubai konnte ich im Landeanflug leider nichts erkennen und musste mich mit den Bildern und Eindrücken dieses selbst um Mitternacht geschäftlich hektischen Airport begnügen. Auch hier klappte der Rolliservice hervorragend, kein anstehen an irgendwelchen Check ins, kaum wirkliche Kontrolle oder Leibesvisitation, Ruck Zuck hatte mich mein indischer Servicemann zu einer sehr bequem ausgestatteten Lounge für Behinderte gefahren.

Aber so 4 h in einem Ledersessel vor einem riesigen Bildschirm, auf dem Arabische Sender mehr unverständliches vermitteln wollen geht irgendwie auf die Nerven. Ach ja, ich wollte noch eine letzte Zigarette, ein letztes Bier. Das ging dort am Flughafen nur in speziellen Bars, und um eine Zigarette zu rauchen war man sozusagen gezwungen auch irgendein sehr überteuertes Getränk zu bestellen. Na gut, hab mir zwei Grolsch und zwei Marlboro gegönnt. Aber der Weg dorthin und vor allem der Weg zurück waren schon verdammt hart. Es waren vielleicht 100 m, aber vom langen Sitzen im Flieger hatte ich unglaubliche Spastiken in den Beinen, und irgendwie auch null Kraft. Beim Weg zurück in die Behinderten Station musste ich mich 2 bis3-mal an einer Wand oder Säule festhalten, da ich sonst einfach eingeknickt wäre.

Der Flug nach Bangalore von Dubai aus war zuerst langweilig, es war Nacht, unter uns nur der indische Ozean, keine Turbulenzen, keine wirklich guten Videos zum anschauen, ideal zum dämmern und dösen. Als der indische Subkontinent immer näher kam wurde es aber heller und so konnte ich den letzten Teil des Fluges über viele fremde, verschiedenartige Landschaften genießen. Ich liebe Fensterplätze in Flugzeugen, ich liebe es Küstenlinien von oben in mich ein zu saugen, ich folge gerne mäandernden Flussläufen im Geiste bis zu ihrer Quelle oder speichere die Rücken, Grate, Gipfel von fremden Gebirgen in mein Bewusstsein, in meine Bilderdatenbank.

Schon nach kurzem waren wir wieder eingetaucht in ein Konzert schriller Hupen, in ein kreischen von Bremsen, in einen stinkenden Nebel von tausenden Zweitaktern, in rußige Schwaden von Feinstaub, den Busse und LKWs über die Stadt legten.

Wasserbüffel und dürre Kühe trotteten wieder am Rande der Schnellstraßen die in und aus dem Moloch führten, die vielen Seen, die sich glitzernd über das Stadtgebiet verteilten rochen und stanken genauso wie im Juli, ein einbeiniger zerlumpter dürrer junger Mann rumpelte auf einen Bambusstock gestützt, todesmutig zwischen den kreischenden, sich im Schritttempo voran quälenden Autos auf die andere Straßenseite. Seine Augen wirkten leer, ohne Hoffnung, er hatte nicht einmal den Blick eines bettelnden, nicht einmal Verzweiflung konnte ich sehen, abgestorben ging hier ein lebender Toter an einem Bambusstock an mir vorbei.

Wir kamen auch wieder über den Fluss, dessen Gestank schier unerträglich für mich war und ist, wieder sah ich zerlumpte unter blauen Plastiktüten liegen, resignierte junge Frauen mit so etwas wie einem Kind auf dem Arm, sah Frauen und Kinder auf Baustellen alte Ziegelsteine sauber klopfen, sah Frauen mit Zementsäcken auf ihrem Kopf balancieren, und hinter und vor und zwischen all dem Elend sah ich viktorianische Villen, an Bauhaus erinnernde moderne Villen voll klarer Ästhetik, sah spiegelnde und glitzernde Fassaden modernste Architektur, in der sich die ganze moderne Welt der Informationsverarbeitung ihr zuhause geschaffen hat.

Microsoft, Orakel, SAP, Honneywell, ja selbst die gute deutsche DateV geben hier tausenden auf höchstem Niveau ausgebildeten It Leuten Arbeit und Brot und mit ihren glitzernden Fassaden der Stadt zum Teil ein futuristisches Gesicht.

Ich bin ziemlich müde an diesem Abend, wie eigentlich an allen Abenden, denn 10 h Übungen und Anwendungen von morgens um 4:30 Uhr bis jetzt so kurz vor 21:00 Uhr sind schon eine Herausforderung.

Aber andererseits ist das immer auch eine angenehme Art der Erschöpfung, die meist ziemlich schnell in einen tiefen Schlaf hinüber wechselt.

Hanish war noch kurz vorbeigekommen um mir einen Stick zu bringen damit ich Bilder die ich gemacht hatte am nächsten Tag, im kleinen Postoffice in meinen Webspace einzuspielen kann.

Plötzlich erklingt irgendwo aus der Ferne der Nacht eine seltsame Musik. Sie wird lauter, fasst Orchesterhaft, und verbreitet Resonanzen die durch Mark und Bein gehen. Es ist der Klang einer Flöte, wie ich eine solche zuvor noch nie gehört hatte. Das Volumen des Klangs ist von solcher Mächtigkeit als würde der Flötist von einer riesigen Verstärkeranlage unterstützt. Aber draußen ist doch nur dunkle schwarze tropische Nacht, und ganz sicher nirgendwo eine solche Anlage installiert.

Es ist der junge Mönch sagte Hanish ich habe ihn schon ein paar Mal auf seiner Bambusflöte spielen hören. Hanish öffnet die Tür meines Zimmers und der Klang kommt noch voluminöser und klarer und einprägsamer in mein kleines Zimmer. Er sitzt drüben in der Baustelle der neuen Onkologie meint Hanish, und es ist dem Zustand dieses Rohbaues zu verdanken, dass diese wunderbare Akustik hier so kraftvoll zu hören ist. Und da sitzt tatsächlich inmitten des halb fertigen Gebäudes, welches nur aus Betonstützen und darauf gelegten Betondecken und halb fertigen betonierten Treppenhäusern besteht, ein kleiner junger, kahl geschorener Mönch in einer Orangenen Kutte und spielt aus seinem tiefsten Inneren die gesamte Welt der Musik, als hätte er nie etwas anders getan, als hätte er nie etwas anderes durchlebt, so als wäre er eben diese gesamte Welt der Musik und sonst nichts.

 Am nächsten wache ich schon um 4H auf, richtig gut ausgeschlafen, ich stehe auf, mache mich kurz frisch und beschließe, allein, jetzt sofort, nach Sahenna hochzugehen, nicht mehr im Rollstuhl hochgefahren zu werden, um dort in der morgendlichen Ruhe und im Mantel des dämmernden Tages zu meditieren.

Der Weg ist steil und holprig, das Licht nur sehr schemenhaft, die Geräuschkulisse mit ihrer Melange aus Kauz und Affe und Krähe und Nachtigall ein wenig unheimlich. Aber ich genieße diese Schritte so ganz allein, ich habe Zeit, machte 2 mal eine kurze Sitzpause auf einer Bank vor Mangala Damir, und auf einer Gartenmauer unterhalb von Sahenna, weder an Kobras noch an Russelvipern denkend. Den ganzen Weg über werde ich begleitet von der mächtigsten Flöte die ich je gehört hatte. Es Bacht und Mozartet, Charly Parkert, be-bobt und Hendrix synkopisiert. Der Mönch flötet wieder im Rohbau der Klinik und das Betonskelett trägt all die Klänge wie ein Lautsprecher über den Campus, bis sie sich irgendwo im feinen Netz der Kronen der mächtigen Bäume verlieren., alles vereint sich in der Schwingung und im Rhythmus dieser Musik, die Bäume scheinen zu tanzen während allmählich die ersten zarten Strahlen des Sonnenlichts den nebligen Schleier durchbrechen.

Drei Stunden spule ich in Sahenna allein mein Programm ab, zuerst ein paar dehnende Asanas, dann dem Atem Raum geben und der Resonanz des A-U-M`s, dann entspannen mit DRT und zum Abschluss tief, sehr tief und begleitet vom stärker werdenden Konzert der Vögel Meditation..

Hanish hat anscheinend 2 mal vorbeigeschaut, mich aber nicht gestört, ich glaube er war stolz, dass ich es gewagt hatte allein und zu Fuß dorthin zu gehen.

Ein wichtiger Schritt war getan

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