Mantren und Musik
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Eine lange Reise in die Nacht

Veröffentlicht am 12.09.2012

Mit Beginn unserer Reise von Bangalore, über Delhi in den Garwal Himal, wurde Indien immer indischer.


Mit Beginn unserer Reise von Bangalore, über Delhi in den Garwal Himal, wurde Indien immer indischer.

Es ging am Flughafen in Bangalore schon ganz amüsant los. Einchecken und so weiter funktioniert recht ordentlich, auch der Rollstuhl Service ohne jeden Mangel.

Man schob uns in die richtige Abflughalle, für den Flug 157 mit Indi-Go. Da alle Sitzbänke bereits besetzt waren, schoben uns unsere fleißigen dienstbaren Geister irgendwo zwischen Reihe 3 und vier der Sitzbänke und stellten uns dort ab. Dann ertönte das Signal für das einsteigen (Boarding), und wie auf allen Flughäfen der Welt üblich, sprangen alle Wartenden gleichzeitig auf um sich in einem dicken Knäuel am Schalter zu stauen. Uns war das egal, wir wussten ja, dass wir auf Grund unseres besonderen Status Reihe 1 bekommen hatten, der Beinfreiheit wegen und so schien es uns nur sinnvoll dass wir als letzte einsteigen sollten um nicht alle anderen zu behindern. Der Knäuel löste sich und bald war niemand mehr in der Wartehalle zusehen außer uns dreien. Als dann aber die Mitarbeiter von Indi-Go anfingen den Schalter zu schließen und ihre sieben Sachen zu packen kam uns das schon seltsam vor, schließlich standen wir ja immer noch einsam und verlassen zwischen den Sitzreihen in unseren Rollstühlen. Auf unser Intervenieren hin, wurde den Mitarbeitern klar, dass auch wir an diesem Flug teilnehmen sollten. Schnell wurden wieder 2 Rolltuhlschieb-Fachkräfte organisiert und wir wurden in den nächstbesten Zugangstunnel geschoben. Am Flugzeug angekommen wurde allen schnell klar, dass dies das falsche Flugzeug war, ein Flug Delhi  Mumbai, er will da schon freiwillig hin, in diesen 15 Millionen Moloch, weit entfernt von der stillen und klaren Bergwelt des Himalaya. Also wieder rauf durch den Tunnel und nachdem auch unsre Schieber inzwischen wussten das wir mit Indi-Go fliegen, wurden wir in einen Aufzug geschoben, es ging runter direkt auf die Ebene der Startbahnen, da die Indi-Go Maschinen mit einem Bus angefahren werden mussten.

Der Fahrer des allerersten Busses sagte No no, also wurden wir mühsam samt Rolli in den zweiten Bus gehievt. Wir fuhren los, ich wunderte mich, nirgendwo eine Indi-Go Maschine zu sehen, schließlich hielt der Bus vor einer Boeing 737 von King Fisher Airlines. Auch die wollten uns nicht mitnehmen, sie flogen nach Chennai (Madras), wo es zwar auch schön ist, von wo aus aber der Weg in den Himalaya noch viel länger gewesen wäre.

Also wieder zurück zum Terminal, dort wartete bereits ein kleineres Fahrzeug nur für uns als Emergency Service.

Es war fast geschafft. Am Airbus A 320 von Indi-Go, war keine Treppe, sondern eine Rampe die über zwei Ecken gehend am Flugzeug angebracht war. Dort wollte man uns mit den Rollis hinaufschieben, wir verzichteten, da uns das zu verwegen erschien, wir stapften diese Meter lieber selbst hinauf. Der Flug über den indischen Subkontinent, verlief ohne weitere Probleme, er war wie der Flug vor zwei Wochen vom Monsun bestimmt, 2500 km flogen wir über ein weiches weißes Wolkenmeer, nichts von alldem was mich vor einem Jahr begeistert hatte, war von den unterschiedlichsten Landschaften wie Urwald, Hochland, Wüste, schlammbraunen  Flüssen, nichts von alldem war an diesem Tag zu erkennen. Lisl war dies von Anfang an klar gewesen und so tat sie weder das, was sie auf Flügen generell tut, sie legte den Kopf bequem zur Seite, schloss die Augen, und schlief.

Wir landeten überpünktlich in Delhi, es gab keine weiteren Probleme, das Taxi das uns Keser aus dem Himalaya geschickt hatte, war schnell gefunden. Vor dem Einsteigen wollte noch eine Schar professioneller Bettler Rupie Rupie, weil sie glaubten, uns den Weg zum Taxi gezeigt zu haben. Hier erwies es sich nun als günstig, dass wir in Prashanti ausgiebig die meditative Technik der De-Fokussierung erlernt hatten. Ruhig und gelassen sahen wir durch sie hindurch. Ein Junge, von etwa 16 Jahren, mit wunderschönen großen dunklen Augen und nur einem Bein, das andere schaute nur als grober Stumpf oberhalb des Knies aus seinen Lumpen, hatte mich auf diesem Weg schon flehentlich angesehen, ohne in irgendeiner Weise so aufdringlich zu wirken wie die professionellen Bettler.

Beim raus fahren aus dem Parkplatz sah ich ihn auf einem alten Krückstock gelehnt im Schatten eines Baumes und winkte ihn noch schnell her. Sofort stürzten sich einige der Profi-Bettler hinter ihm her um ihn von meinem Autofenster abzudrängen. Ich scheuchte die Profis weg, drückte dem jungen 100 rupie in die Hand, sicher ein Vermögen für ihn und nichts für mich. Seine Augen leuchteten und strahlten noch mehr, und das dankbare Lächeln, ja fast Grinsen, wegen seines Sieges über die Profis, ist mir bis heute vor Augen.

Die Fahrt durch Delhi war zuerst normal, Delhi sicher viel sauberer als andere Moloche in diesem Land, aber trotzdem Indisch: mit Kühen, Büffeln auf allen Straßen, mit Glaspalästen als Hüter der Slums, Rikschas und TucTuc`s auf Stadtautobahnen, blauen Plastiktütenbehausungen auf spärlich begrünten Mittelstreifen, kleinen und großen Hindutempeln an allen Ecken und Enden, Minaretten und Kuppeln von Moscheen in sanfter friedlicher Koexistenz. Indien eben. Und was wäre Indien schon ohne seinen nicht zu verstehenden Verkehr in den Städten, ohne das unaufhörliche Hupen und Kreischen, ohne die blaugrauen Schwaden aus Diesel-Ruß, Zweitackterschwaden, vermischt mit dem würzigen Duft von Garküchen und Latrinen.

So lief die Fahrt erst mal einschläfernd normal, man kannte das ja alles schon, hatte schon ein wenig Gleichmut eingeübt, bis unser Fahrer plötzlich links auf der Stadtautobahn auf der wir gerade ins may-be-irgendwohin fuhren einfach stehen blieb.

Hupp Konzerte von allen Seiten beeindruckten ihn nicht, wir standen da. Auf mehrfaches Nachfragen warum wir hier stehen erfuhren wir dann von Hanish, dass er einem Bekannten hier, und zwar ganz exakt hier und nirgendwo anders, etwas übergeben müsse. Günstiger Platz, vor allem wenn der Bekannte gar nicht so genau weiß, wo wir da stehen, in dieser Millionenstadt. Naja, nach einer halben Stunde kam ein verschwitzter junger Mann angelrannt, keuchend und schwitzend in der unerträglichen Schwüle Delhis, er bekam ein Dokument von Hanish mit irgendwelchen Prüfungsunterlagen, und die Fahrt ging weiter. Delhi zog sich und zog sich, nicht endend wollend, Industriegebiete wechselten mit schrecklichen Hochhaussiedlungen, dazwischen wieder die typischen, fast herzlich wirkenden basarähnlichen Gebilde aus Teeküchen, Garküchen, kleinen Läden, gesäumt von den üblichen Ansammlungen aus Müll und Schmutz und Dreck. So fuhren wir Stunden dahin, langsam wurde es ländlicher, zwischen den Siedlungen gab es immer mehr Freiflächen, Landwirtschaft, Maisfelder, Reisfelder und auch zunehmend Wälder oder Brachland. Wir überquerten zwei große Flüsse, die zu dieser Zeit nicht allzu viel Wasser führten und in deren braunen Fluten wir Kinder beim Baden sahen. Der zweite Fluss war der Gadanki, irgendwo beim Kailash in Tibet entspringend, sich seinen Weg durch Nepal grabend, zwischen Daulaghiri und Annapurna die Kali-Gadanki-Schlucht mit ihren 5500 Metern Tiefe hinterlassend. Hier floss er nun breit und träge durch das heiße Schwüle Tiefland von Delhi.

Wir kamen durch eine Gegend, in der sich bis zum Horizont hin ein lichter Wald gemauerter hoher Kamine in das Dunstgrau erhob und in der aus dem lehmigen Schwemmland rote Ziegel für die nie endende Bauwut dieses riesigen Landes gebrannt wurden. Nach einigen Stunden stellte sich Durst ein, und auch unsere Blasen forderten ihren Tribut. Wir kehrten in einem McDonalds ein, einfach um einmal zu erfahren wie so etwas in Indien schmeckt. Ich fand es gar nicht so schlecht, Veg-Burger  mit Pommes, kaltes Coke. Hanish fand das nicht so toll, aß zwar alles auf, steckte sich dann aber nachts als wir am Ziel angekommen waren, den Finger in den Hals, um sich dieser ungesunden Nahrung wieder zu entledigen, ohne seine Digestion mit Poison zu belasten. Über Pantnagar und Haldwani näherten wir uns immer mehr den Bergen, die schreckliche feuchte Hitze wurde weniger, das Tageslicht verschwand allmählich, und Dunkelheit brach ein. Zeit für Lisl wieder einmal die Augen zu schließen und sich dem wohlverdienten Schlaf hinzugeben. Ich kannte diese Strecke schon, mit ihren Abgründen und der immer mehr zunehmenden Einsamkeit, stille, landschaftlichen Schönheit, die Nachts leider nur zu erahnen waren. Nach 11 h anstrengender Fahrt erreichten wir Dhaulchina, das Dorf, oberhalb dessen wir die nächsten Wochen verbringen würden und so weckte ich Lisl langsam auf. Ich habe dabei vergessen dass dieser letzte Weg durch den Wald nach oben ziemlich glitschig und abenteuerlich ist, und Lisl, aus dem Schlaf gerissen stöhnte: oh je, oh hättst mi doch nur schlafen lassen.

Herzliches Hallo durch Kesar und seine Söhne, Zuteilung der Huts und ein leckeres kurzes Abendessen. Ich hab mich gleich nach Luna erkundigt, meiner süssen tibetischen Hundefreundin vom letzten Jahr. Im Frühjahr hat sie 8 Junge geboren, leider ist sie vor zwei Monaten an einer Darmverschlingung  gestorben. Ich bin sehr traurig, sie war wirklich eine tolle Freundin.

Wir sind todmüde ins Bett, Liesel erstaunlicherweise auch todmüde obwohl sie die halbe Fahrt geschlafen hatte.

Wir waren am Ziel, 7000 Fuß über dem Meer

Shangrila hatte mich wieder.

Diese Nacht gehörte unseren Träumen und dem unablässigen Zirpen der Grillen.

Und der nächste Morgen gehörte den Nebelschwaden die wabernd aus allen Tälern auf und abstiegen, durchdrungen vom Krächzen der Dolen und Krähen, begleitet vom Singen und Schreien allermöglichen fremdartiger Vögel, bis die Sonne erst zaghaft dann aber immer bestimmter dem mystischen Spuk ein Ende bereitete. Wir öffneten Fenster und Türen, staunten, grinsten, und atmeten tief und bewusst diese neue Welt in uns ein.

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