Mantren und Musik
aus Indien
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Der Kampf des Monsoon

Veröffentlicht am 16.09.2012

Die Nächte in diesen Zeiten, in denen der Monsun in seinen letzten Zügen liegt und gegen den sich anbahnenden klaren und trockenen Herbst kämpft, gehören den Wolken, dem Nebel und dem unablässigen, nie enden wollenden Spiel der grauen Schatten

Die Nächte in diesen Zeiten, in denen der Monsun in seinen letzten Zügen liegt und gegen den sich anbahnenden klaren und trockenen Herbst kämpft, gehören den Wolken, dem Nebel und dem unablässigen, nie enden wollenden Spiel der grauen Schatten, die sich, aus den tiefen Tälern emporwabernd, über die Berge, über die Wälder, ja über den Himmel legen.

Wenn dann der Morgen naht, beginnt ein Schauspiel, dessen Choreografie das Wechselspiel zwischen dem hellen und warmen Licht der aufgehenden Sonne, der grauen und von schwerer Feuchte durchdrungener Schleier der Wolken-und Nebelfetzen mit dem unablässigen Schreien, Krächzen, Singen und Pfeifen der über 240 hier heimischen Vogelarten vereint.

Die Bilder und Töne wechseln in atemberaubender Geschwindigkeit, kaum kannst du an den milchweißen Bändern, die sich zwischen den einzelnen Bergketten dahin ziehen die Anzahl der dazwischenliegenden Täler zählen, ist schon wieder alles Weiß und Grau. Dann verfliegt der Nebel wieder, hellblaue Fetzen werden sichtbar, um im nächsten Augenblick hinter den grauen Schatten zu verschwinden- es gibt keinen Sieger in diesem Spiel, in diesem endlosen Wechsel von Licht und Schatten, von Hell und Dunkel, von Trübe und Klarheit.

Nun kommt auch die Zeit der ersten Menschen die hier vorbeiziehen. Männer mit gegerbter ledriger Haut ziehen vorbei, ein vorsintflutliches Beil über dem Rücken, später kommen sie zurück, riesige Brennholzstapel auf ihrem Kopf oder einer Holzkraxe tragend. Es kommt die Zeit der älteren Frauen, sie balancieren aus Kunststoff gefertigte Milchkannen mit bis zu 25 l auf ihren Köpfen und tragen so die Milch ihrer Kühe in gleichmäßig ruhigen Tritt sicher ins Tal. Auch aus ihren Gesichtern lässt sich die Rauheit ihres Lebensraumes ablesen. Nun folgen in großen Scharen lachend, erzählend, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg zur Schule. Die Mädchen alle mit Zöpfen in die rosarote oder weiße Schleifen gebunden sind, die Jungs mit braunen oder blauen Uniformen und meist mit einem exakt sitzendem Scheitel im Pech schwarz glänzendem Haar. Manche springen an der Mauer, die unseren Freisitz von ihrem steinigen Weg trennt hoch, um uns ein fröhliches Namaste, Good-Morning oder Hello SIR zu schenken. Dunkle leuchtende Augen blitzen und Strahlen über die Mauer, Hoffnung und Betteln nach Schokolade oder Gummibärchen inbegriffen.

Ein cleveres Mädchen streckt zwei große Birnen über die Mauer, sie strahlt mich an: Fruit Sir, Fruit. Ich denk mir noch ach wir lieb und will die Birnen nehmen, da strahlt sie noch breiter und sagt: 100 Rupie. Ich schüttelte so den Kopf wie ich es inzwischen als „Indisch“ gelernt habe, der Handteller meiner rechten Hand wackelt ganz schnell bei gespreizten Fingern hin und her und hin und her um mein deutliches Nein zu signalisieren.

50Rupie korrigiert sie schnell, ebenso schnell wackelt meine rechte Hand wieder, es folgt die Korrektur auf 30 Rupien, auf 20 Rupien und der Geschäftsabschluss bei 10 Rupien, was immer noch ein Vermögen für zwei Birnen ist (ca. 15Euro-Cent) Mit einem Grinsen, das von Berlin bis Delhi reichen könnte hüpft sie weiter der Schule entgegen, Pausenbrot für ein kleines kindliches Vermögen eingetauscht.

Das Wechselspiel zwischen Nebel, tief blauem Himmel, Wolken, das Spiel zwischen Licht und Schatten, bleibt all diese Tage weiter erhalten. Nachmittags ziehen überall jüngere Frauen auf von dichtem hohem Gras bewachsene Felder oder auch an extrem steile Berghänge, um besonders nahrhaftes Gras mit ihren Sicheln zu schneiden. Auf ihren Köpfen balancieren sie dann riesige Bündel dieser Gräser nachhause. Oft kilometerweit, steilste Abhänge rauf und runter, tragen Sie diese Lasten in einer Ausbalanciertheit und Gelassenheit, Tag für Tag, Jahr für Jahr ein Leben lang.

Der Verkehr auf diesem holprigen Pfad an unserem Freisitz vorbei nimmt im Laufe des Tages zu.

Männer schleppen auf schweren Kraxen rote gebrannte Ziegelsteine, ich schätzte so 40-50 kgpro Träger, fünf Jungen ziehen vorbei, ächzend und Stöhnend und haben doch das indische Lächeln auf ihren Gesichtern, sie tragen ein großes Bündel von etwa 8-10 m langen Armiereisen. Die Eisen sind in der Mitte gebogen so dass sie vorne einen engen Halbkreis bilden, beim ersten liegt die Last an ihrer Biegestelle auf dem Kopf, bei den weiteren, die mit etwa 2 m Abstand dem jeweils nächsten folgen, liegt jeweils eine Hälfte auf den Schultern. Die Schritte sind langsam, bedächtig, die Last schwingt in gleichmäßigem Rhythmus der Schritte auf und ab und auf und ab und hinterlässt mit jedem ab sicherlich einen schmerzvollen Druckpunkt an der jeweiligen Auflagestelle, die nur durch zusammengefaltete Tuchfetzen geschützt ist.

Alle paar 100 m legen sie die Last ab, atmen tief durch und geben den schmerzenden Druckpunkten eine kurze Zeit des Vergessens. Der Bauherr der mit diesen Ziegeln und Armiereisen Sein Haus oder einen Stall baut, scheint nicht das Geld zu haben um sich Esel oder Muli für den Transport seiner Baumaterialien leisten zu können. Das billigste Arbeitstier ist hier immer noch der Mensch, man sieht dies an allen Baustellen, egal ob bei Hochhausbauten in Metropolen oder eben hier in den Bergen. Den Sand, Zement, und viele weitere Baumaterialien werden dann wohl wieder, wie in Indien überall, Frauen auf ihren Köpfen tragen, in Anmut und stoischer Gelassenheit. Eine Baustelle ohne Frauen als Träger ist in Indien nicht denkbar. Auch neulich in Prashanti, als auf das Gebäude der „Caner Klinik“ ein weiteres Stockwerk drauf gesetzt werden sollte, waren es Frauen, die auf ihren Köpfen große, vom Monsunregen durchtränkte und damit noch viel schwerere Steinblöcke über das Treppenhaus bis auf das Dach schleppten. Der Aufzug, vorhanden und bis auf das Dach führend, war ihnen nicht gewährt. Warum auch immer, so war es immer, und wird auch so bleiben, selbst wenn in Bangalore oder Delhi ein Hochhaus mit 30 Stockwerken gebaut wird, so werden es auch dort im wesentlichen Menschen, Frauen vor allem sein, die diese Baustellen mit allen nötigen Materialien bis ganz nach oben hin versorgen.

Auch Esel und Maultiere ziehen hier vorbei, beladen mit Waren und Gütern aller Art, und das gleichförmige Rufen und antreiben des Treibers ist schon von ferne zu hören.

Hirrr, Hili, Hirrr-

Ein sehr alter Mann kommt jeden Tag mindestens zweimal vorbei, auf dem Weg ins Dorf, Dhaulchina, er ist sehr aufrecht trotz seines Alters, seine Haut ledrig gegerbt, das weiße Käppi welches er trägt verleiht ihm Wurde, und seine Augen, die frisch, aufmerksam und klar zu uns herüber leuchten vermitteln die Geheimnisse von Achtung, Selbstlosigkeit und Liebe.

Stets bleibt er stehen für ein paar Augenblicke, legt die flachen Hände vor seiner Brust auf einander wie zum Gebet, oder eben wie in Indien als Zeichen des Grußes, als Zeichen der Segnung und der besten Wünsche. Er strahlt und lächelt in einem, neigt dabei Kopf und Oberkörper mehrmals leicht nach vorn, seine Ehrerbietung signalisierend, dann pendelt sein Kopf ganz leicht von links nach rechts und links nach rechts und sein strahlendes Lächeln wird tiefer und tiefer. Auch ich lege die Hände aufeinander, nicke vor und zurück, pendle mit dem Kopf ein wenig und lasse meine Augen in der Tiefe seines zärtlichen Blickes ruhen, ja versinken. Wir brauchen keine Worte, ein paar Gesten nur und das verschmelzen unserer Blicke sind genug.Ist Elisabeth mit dabei, wiederholt sich dieser Vorgang meist noch ein paarmal. Immer wieder bleibt der Alte stehen, faltet, verbeugt, nickt, pendelt, lächelt, strahlt strahlt und strahlt.

Ein wenig können wir nun schon indisch, zumindest ohne Worte, wir haben die Sprache des Herzens gelernt.

Ein junger, nicht indisch aussehender Typ passiert zwei bis dreimal Täglich an uns vorbei. Anfangs Good Morning, Hello, how are you. Sein Name ist Tal, Israeli, in München 1982 geboren, dort hat er bis zu seinem siebten Lebensjahr gelebt. Mit 18 absolvierte er wie alle anderen Israeli seinen drei jährigen Militärdienst und ging danach wie viele viele Israeli es nach dem Militärdienst zu tun pflegen nach Indien. Nach Goa. Ich denke das war nicht seins, dieses belanglose Sex and Drugs and Rock´´`n Roll. Er bereiste Indien auf und ab, vertiefte sich in Philosophien, reiste weiter nach Australien, wo er acht Jahre lebte, ein Studium abschloss, eine Firma mit dem Vertrieb von ökologischen Kosmetika aufbaute, wieder verkaufte und nun wieder Indien auf und ab bereist. Strahlend wie ein glücklicher Inder bewegt er sich gazellenhaft, hüpft über die Mauer hoch zu unserem Freisitz und wir führen viele tiefe Gespräche. Tal ist sehr belesen, kosmopolitisch, auf vielen Suchen und vieles scheint er schon gefunden zu haben. Er hat eine 1 Terabyte große Festplatte bei sich mit Vorträgen, Vorlesungen, Filmen, E-Books, von Krishnamurti über Bhagwan, Heidegger, Kant, Hobbes, Dr. Eckardt Tolle, Louise Hay, Abraham Hicks, Aurobindo, Chopra und vielen mehr, hört oder liest täglich seine Lectures und seine Augen blitzen und funkeln wenn er in ruhiger Gelassenheit schwierigstes doziert und vermittelt. 2 Giga hat er mir rüber gespielt , bin gespannt welche Auswahl er da getroffen hat. Gut, gut, den inmitten der stillen Bergwelt getroffen zu haben. Jetzt ist er zurück nach Israel und wird wohl weitertreiben zu einem Weisen, Heiler, Schamanen in Brasilien, irgendwo am Amazonas.

Abends ziehen wieder ein paar junge ins Tal, Hanuk, der mich immer „Sir“ nennt erklärt: for chanting in church, will go back 11 Clock.“ Ganz schön mutig in diesen geheimnisvoll dunklen Nebel verhangenen Nächten durch den Wald, ja fast Urwald zu stapfen für einen 10 jährigen.

Am nächsten Morgen wieder fliegende Nebelfahnen, den Schleier vor das Antlitz der Berge werfend.

Und dann jäh und unvermittelt reißt die wärmende Sonne den Schleier vom Antlitz der heiligen Wohnstätten der Götter und Nanda Devi schenkt uns ihr mildes Lächeln durch den Makellos stahlblauen Himmel. Für ein paar Stunden zumindest.

Dann wieder Nebelbänke, die das satte Grün nur erahnen lassen.

In stoischer Gleichmut ertönt durch diese Suppe der raue Ruf eines Bauern, der seinen Büffel antreibt oder zum Stillstand ermahnt. Irgendwo in diesem Nebel pflügen sie ein kleines Terrassenfeld, hrrrrr-brrrrrr-hiiiiii, mehr ist nicht wahrzunehmen.

So vergehen die Tage des Niedergangs des Monsuns, manche schon voller Sonne, die dann bereits stechend und heiß in wenigen Minuten den Boden trocknet und feuchte Schwüle aufsteigen lässt aus der sich über Nacht wieder Wolkenfahnen, Nebelschwaden und zarte dunstige Schleier bilden werden.

Einige Nächte sind schon so klar wie dann, später ab Anfang Oktober für viele Monate ohne Unterbrechung Tage und Nächte sein werden, eine zeigt in der die Grünen und weißen Berge nur noch einen Kontrast kennen: das makellose Stahlblau bis unendlich scheinenden Himmels.

In solchen Nächten glitzern und schimmern von allen auch noch so weit entfernt liegenden Bergen schier unendlich viele Lichter, Lichter von einsam liegenden Gehöften, oft auch heute noch nur in langen Märschen zu erreichen.

Der volle Mond erhellt die Szenerie und der Teppich der flackernden Lichter scheint verwoben mit dem funkelnden Firmament des indischen Nachthimmels.

Am nächsten Abend dann wieder ein anderes Bild, die fliegenden Schwaden haben sich zu einer undurchdringlichen dunklen Wand verdichtet, kein Berg, kein Licht, kein Baum oder Strauch ist mehr zu erkennen, wenn die Schwaden in stetem Fluss durch unseren überdachten Freisitz treiben, in dem wir all unsere Mahlzeiten also auch unser Abendessen einnehmen.

Zuerst nur schemenhaft durchdringt plötzlich ein weit entferntes Wetterleuchten die dunkle Wand, fast unheimliche Stille ist eingetreten, selbst die Grillen haben ihren abendlichen Dauergesang eingestellt.

Dann prasselt plötzlich sintflutartige Regenfälle nieder, der Himmel hat seine Schleusen wieder geöffnet, es Kübelt.

Zeit den Freisitz zu verlassen, zeit Türen und Fenster zu schließen, zeit unter die große wärmende Decke zu kriechen. Aus dem Wetterleuchten werden nun grelle Blitze denen immer rascher das zwischen den Talwänden hin und her rollende Donnern folgt. Stundenlang noch kracht und bellt, grollt und rumort uns das mächtige Gewitter in den Schlaf.

Noch einmal hat sich der Monsun mächtig zu Wort gemeldet, ab morgen soll es dann stetig ruhiger und wärmer werden. Ab Freitag dürfte dann für Monate das unglaubliche, lichtdurchflutete, trockene stabile Himalaya Herbstwetter einsetzen, so wie ich es vom letzten Jahr hier schon kenne.

Die tausenden Gesichter, die ich hier vom abklingenden Monsun einsaugen konnte, missen,nein missen möchten wir sie alle nicht.

 

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