Mantren und Musik
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Die Geschichte vom bellenden Reh und anderen Absonderlichkeiten

Veröffentlicht am 28.09.2012

Nur zweimal haben wir das ECO-Camp verlassen. Beim ersten Mal ging es zuerst nach Almora, der wunderschön an einem breiten Hang halbkreisförmig sich über diesen Hang hinauf ziehenden Provinzhauptstadt. 32 km entfernt,

Nur zweimal haben wir das ECO-Camp verlassen. Beim ersten Mal ging es zuerst nach Almora, der wunderschön an einem breiten Hang halbkreisförmig sich über diesen Hang hinauf ziehenden Provinzhauptstadt. 32 km entfernt, eineinhalb Stunden Fahrzeit. Alle Häuser mit flachen Dächern, ein Hinweis auf das aride Klima hier. Wenn man Almora so aus der Ferne sieht, und fotografiert, alles wunderschön, pitoresque. Nähert man sich dann aber dieser Stadt mit ihren etwa 50.000 Einwohnern, verliert diese Schönheit sehr schnell ihren Glanz.

Nichts ist mehr wie es bei uns oben in den Bergen ist, sauber und ruhig. Es wimmelt und wuselt schon in den Außenbezirken, Verkehr, Gestank und abscheuliche Bilder prägen bei näherem hinsehen diesen Ort. Scheinbar überall lagern oder werfen die Bewohner all das hin was sie nicht mehr brauchen, vor allem ihren Müll ihren Unrat jeden Abfall.

Es ist schwül und heiß an diesem Tag, weit über 30°, wir quälen uns noch kurz auf die Dachterrasse des Hotels am Hauptplatz um einen Kaffee zu uns zu nehmen, der anschließende Versuch die Toilette dort zu benutzen artet für beide von uns in eine Mutprobe aus, wir sind froh hier schnell wieder weg zu können. Und so fahren wir wieder an großen Haufen stinkenden Mülls vorbei, der meist direkt vor den Häusern auf der Fahrbahn liegt, von den darüber liegenden Häusern fließen oft direkt in diese Berge die Fäkalien und Abwässer aus frei aus dem Hang herausragenden Rohren.

In diesen stinkenden Haufen kämpfen Krähen, Ratten, Hunde, fette dreckige Schweine und die allgegenwärtigen heiligen Kühe um diese Beute. Ich werde die Kuh nicht vergessen, die gerade genüsslich eine Plastikflasche zwischen ihren Zähnen zerrmalmt, anschließend wahrscheinlich wiederkäuend. Wenn das die Almwiesen der glücklichen Kühe Indiens sind, dann ist es schon erlaubt dass ich mich frage ob ich hier so ohne weiteres weiterhin Milchprodukte zu mir nehmen soll.

Und natürlich setzen zum wiederholten Male Gedanken und Reflexionen ein, Versuche des Verstehens, des Einordnens dieser Eindrücke in das widersprüchliche das diesem Land, dieser Kultur anzuhaften scheint. Wieder der Fehler etwas verstehen zu wollen was man nicht verstehen kann und auch nicht auf Anhieb muss. Ich werde diesem Problem an späterer Stelle wohl noch gehörig Raum geben, zuerst aber tiefer in Logik und Unlogik und Widersprüche eindringen müssen. Nur ein paar Stichpunkte angemerkt: Veden als eine der ältesten menschlichen Lehr und Philosophiewerke, Yogisches Denken, die fest verwurzelte Liebe, fast als Gesetz zu allem was lebt, Achtung der Natur in allem als Schöpfung, als göttlich, ja Gottgleich, der im ganzen Land immanente Stolz darauf Bewusstsein und die Erreichung immer höherer Bewusstseinsebenen als quasi wesensgleich mit diesem Land und seiner Kultur zu sehen. Bei solchen Bildern und noch mehr bei Bildern von Slums und vegetierenden Straßenmenschen kann ich einfach nicht anders als Sinn, Wahrheit, oder Selbsttäuschung und Verlogenheit zu hinterfragen.

Nach etwa 1 h Fahrt, jetzt wieder in sauberer Natur, immer höher den Berg hinauf, durch lichter werdende Wälder in denen immer mehr knorrige uralte Steineichen und riesige Rhododendrenbäume anstelle der Kiefern und Pinien treten, nach einem Weg, der uns am Ende über einen abenteuerlichen Grat führt, der eigentlich nur noch aus der Breite der Straße besteht und auf dem es rechts und links sehe sehr tief runter geht, erreichen wir den ältesten der Tempel von Jageshwar.

Er ist sehr klein, nur über steile Treppen erreichbar, wir sparen uns das Aussteigen um zurückzufahren in das einige 100 m tiefer gelegene mystische Tal der übrigen 123 Tempel von Jageshwar. Hier war ich schon vor einem Jahr und auch damals schon berührt von der Schönheit dieses engen geheimnisvollen Tales. Uralte, zum Teil über 1300 Jahre alte knorrige hohe Kiefern hüllen das Tal fast den ganzen Tag in Schatten und so fährt man etwa vier bis 5 km durch diese Zauberwelt in der ohne weiteres auch der Herr der Ringe gedreht hätte werden können. Rechts der Straße ein wenig tiefer schlängelt sich ein kristallklarer Bach, rechts und links der Straße immer wieder kleinere und größere Tempel und Schreine, am Ende wird das Tal lichter, und umrahmt von uralten riesigen Fichten und Kiefern, zeigt sich die Haupt Tempelanlage der 124 Tempel von Jageshwar. Noch immer erschöpft von der Hitze und dem Gestank von Almora quäle ich mich die Stufen hinunter zum Haupttempel und während Elisabeth und Hanish das ganze Gelände weiträumig erkunden, ziehe ich mich in den Haupttempel zurück, setzte mich in den kühlen dunklen, nur von ein paar Butterlampen spärlich erleuchteten Innenraum im Lotus Sitz auf den Steinboden und meditiere. Nicht westlich fokussierend sondern östlich de-fokussierend.

Als wir das Tempelgelände wieder verlassen wollen, beim Anziehen der Schuhe, spricht ein Inder in gepflegtestem Deutsch Liesi an. Er war 12 Jahre in München, bei der „Munich-Re“, er kennt Aying und den Inselkammerbiergarten und nach einigem weiteren Geplauder stellt sich heraus, dass er mit Bekannten von Lisl bekannt ist, weil sein Sohn und deren Sohn, der wiederum ein Spezi von Lisl’s Sohn ist, zusammen in den Kindergarten oder die Schule oder so ähnlich gegangen sind.

Schaugs o de Welt, wias a so kloa is.

Am Ausgang vom Tempelgelände gibt es vom Baba,der in einem kleinen Verschlag im Lotussitz hockt, einem Verschlag in dem er auch lebt, schläft, kocht, isst, meditiert, einen Segen, ein gelbes Mal auf die Stirn, und ordentlich Schwingung Aura und Energie, wie Lisl feststellt. Die meisten geben dafür 10 Rupien (15 Eurocent). Mir war das dann doch eher 100 Rupien wert, wobei auch in Indien Gott, oder was auch immer man hier spürt, nicht käuflich sein dürfte. Und dem Baba wars glaube ich eher auch egal ob 10 oder 100, denn deswegen sitzt er da ganz sicher nicht, asketisch und frei von den Qualen der gierigen Welt.

Der nächste Ausflug dann mit Keshar persönlich. Da kommt immer Freude auf, denn Keshar ist Naturfreund, Photonarr mit dem Blick auch für das noch so kleine interessante Motiv. Seinem Auge entgeht wirklich kein interessantes Bild. Und so fahren wir die alte Forststraße als Abkürzung Richtung unseres ersten Zieles, Binsar-Point oder auch Zero-Point genannt.Der höchste Punkt in dieser Gegend auf den eine Straße führt, der Punkt, mit der wohl besten Aussicht auf die Hauptkette des indischen und auch nepalesischen Himalaja. Die Forststraße ist sehr abgelegenen und abenteuerlich und bietet unendlich viele Blicke in schroffe, von dichtem Urwald überwucherte Täler und Schluchten, auf steile Berghänge auf denen dann plötzlich und unvermutet doch wieder ein paar Häuser einer einsamen Ansiedelung zu sehen sind. Die Bewohner solcher Orte haben lange Fußwege um zum nächsten Dorf zukommen, die Kinder elend lange und mühsame Wege zur Schule. Oft 3 h einfach pro Tag. 600-800 Höhenmeter morgens runter am Abend rauf.

Andererseits leben sie in einer so unglaublich unberührten Natur dass ich sie wirklich beneiden muss.

Dank Keshar bleiben wir sehr oft stehen, hier eine seltene Blume, dort plötzlich ein seltener Vogel, hier der Blick auf uralte knorrige verwachsene Steineichen, Rhododendren, oder Pinien. Da der Platz an dem er einmal einem Leoparden begegnet ist, dann wieder der Blick auf einen gegenüberliegenden steilen bewaldeten Berghang, auf dem in steilstem Gelände eine Frau mit ihrer Sichel Gräser schneidet, diese dann später in einem großen schweren Packen des auf ihrem Kopf balancierend über schmale gefährliche Pfade zu ihrem Haus transportieren wird. Und so wird gehalten und gehalten, fotografiert und fotografiert. Wieder einmal bleibt Keshar stehen, angestrengt rechts den steilen Berghang hinauf schauend, Lisl hat ihr Fenster auf der rechten Seite auf, und ruft plötzlich ganz laut: da, da, dadada. Keshar und Hanish reißen die Kameras hoch, alles ist aufgeregt. A barking Deer, a barking Deer, ein bellendes Reh also wurde gesichtet. Ich selbst links habe mir noch gedacht die haben bestimmt einen Leoparden, einen Bären oder sonst irgendetwas Seltenes gesichtet.Aus den sensationellen Aufnahmen wurde leider nicht besonders viel, es gibt einen ganz kurzen Videoclip, auf dem man das Hinterteil eines davon springenden Rehes in dichtem Buschwerk verschwinden sieht. Bei Keshar und Hanish ist man sich sofort einig: Schuld daran hat Lisl. Mit ihrem Schreien hatte das arme seltene Tier so erschreckt, dass es fliehen musste.

Die Versuche von Lisl diese Schuld von sich zu weisen enden in nichts. Auch ihr Argument, ob nicht der laufende Motor des Autos dieses seltene Tier erschreckt haben könnten, wird nicht gelten gelassen. Keshar meint: diese Tiere sind an das Geräusch von Autos gewöhnt, da würden sie nie erschreckend. Mich überzeugt diese Argumentation genauso wenig wie Lisl. Oft werden auf dieser einsamen Forststraße wohl keine Autos vorbeikommen. Überhaupt findet Lisl dass um dieses bellende Reh viel zu viel Aufregung gemacht wurde, es scheint aus gesehen zu haben wie auch Rehe bei uns aussehen, und vielleicht meint man hier ja, dass das Röhren in der Brunft dieses ominöse Bellen wäre.

Und weiter geht die Fahrt direkt in das Naturschutzgebiet des Binsar Senctuary hinein, immer höher windet sich die Straße, die Luft wird kühler, frischer, der Pflanzenwuchs ändert sich mit jedem neuen Höhenmeter, die Pinien und Fichten werden weniger, Rhododendren als riesige alte knorrige Bäume bestimmen das Bild, dazwischen vereinzelte Steineichen. Was muss das im März für ein Anblick sein, wenn ganze riesige Berghänge im Rot der blühenden Rhododendrenbäume wie surreale Gemälde ins Tal leuchten. Wir fahren am Touristenpunkt Zero-Point vorbei, die dichten Wolkentürme die sich in Richtung Nepal aufbauen lassen heute eh keinen Ausblick zu. Und so fahren wir noch ein Stück tiefer in den Gipfelwald bis wir zu einem von den Engländern errichteten Forsthaus mit viktorianischen Säulen gelangen. Ein Waldarbeiter kocht uns dort, man höre und staune, Maggi Nudeln indischer Art. Maggi ist in Indien sehr bekannt und man hat mich auch schon zweimal gefragt ob es denn auch in Deutschland Maggi gäbe. Maggie ist praktisch, ein kleines Packerl dabei, irgendwo im Wald ein kleines Feuer gemacht, einen Topf heißes Wasser, Maggi rein, und schon ist es fertig, das Unterwegsmal des Forstarbeiters oder Wald Hüters. Wir bleiben einige Zeit an diesem wunderschönen Fleck, genießen die angenehme kühle Bergluft, die beiden Herren fotografieren und fotografieren, Hanish posting wie immer, diesmal Lotus Sitz auf dem Autodach von Keshars Wagen.

Dann kurven wir die schmale Bergstraße zurück, nochmals nach Almora, wo uns Keshar Kupferkannen für eine Ayurvedische Wasserbehandlung besorgt. Durch die engen steilen Marktstraßen zu bummeln haben wir keine Lust und so entschließe ich mich in einem kleinen Friseursalon frisch machen zu lassen. Haarschnitt mit waschen 30 Rupien -gleich 45 Eurocent. Ich will ja nur ausschneiden, aber schneiden hier heißt halt einfach runter für das Geld. Das waschen ist am Anfang etwas eklig für mich, denn als ich über dem Waschbecken nach vorn gebeugt sitze und das Wasser über meinen Kopf läuft, dringt ekelhafter Kloakengeruch in meine Nase. Ich muss da durch, kneife Mund und Augen fest zusammen, versuche zu de-fokussieren. Andere haben das auch überlebt denke ich mir. Die Massage der Kopfhaut ist allerdings gigantisch, das gibt es nur hier in Indien. Dann will ich mir noch den Bart ein wenig Ausschneiden und auf Form bringen lassen, was damit endet, dass ich keinen Bart mehr habe. Im Salon hängt irgendwo ein kleiner Fernseher und während die beiden Friseure mich und einen anderen Kunden mit scharfer Klinge, wie es sie bei uns in Deutschland nicht mehr gibt, rasieren, verfolgen die beiden lachend irgendeine Soap, die da im Fernsehen läuft. Oft haben sie sicher nicht auf unsere Gesichter und Hälse geschaut, aber trotzdem ist alles ohne Blut und sehr ordentlich abgewickelt worden. Zum Übersetzen ist für mich niemand da, Hanisch ist irgendwo, das Englisch der Friseure eher bescheiden, und so interpretiere ich die nächste Frage als falsch, denke er will mir ein Haarwasser auf den Kopf reiben und stimme zu. Gott sei Dank muss ich sagen, denn das war nun wirklich die ultimative Kopfmassage inklusive Augen und Ohren. Auch die nächste Frage interpretiere ich falsch und denke er möchte mir noch ein Duftwasser ins Gesicht reiben, das war falsch gedacht, denn nun bekomm ich eine grüne Masse aus zerriebenen Bohnen und anderen Kräutern auf mein Gesicht aufgetragen, wie eine Gemüsepackung,

alles wird dann ewig lang einmassiert, geklopft, geknetet, es darf trocknen, es wird wieder abgeriebenen und nochmals massiert und geklopft. Auch das sehr sehr angenehm, und so sage ich auch bei der nächsten Frage einfach ja. Was dann folgt ist ein wunderschöner Abschluss dieses Haarschnitts. Vierhändig werden meine Finger Hände Armee bis zu den Schultern massiert, ich muss mich nach vorne beugen, auch mein Rücken wird so von vier geschickten, geschulten Händen massiert geklopft und gerieben. Lisl, am Eingang des Salons sitzend wirkt langsam säuerlich, sie ist müde von dem langen Tag und findet es nicht so passend, dass ich nun schon eineinhalb Stunden für einen kurzen Haarschnitt brauche. Aber dann ist es geschafft, anstatt 30 Rupien zahle ich 300 Rupien, also ungefähr 4,50 €. Für das was ich da alles an Behandlung bekommen habe, eigentlich nicht viel. Alle außer Liesel sind zufrieden, die Friseure und ich.

Anscheinend war das eine ganz normale Frisörsitzung in einem Herrensalon, denn der andere Herr hat das gleiche bekommen und anscheinend sind die Friseure in Indien gleichzeitig auch als sehr geschickte, sensible Masseure ausgebildet. Ich werde da auf jeden Fall noch einmal hingehen und freu mich jetzt schon darauf.

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